Zart, schön und sinnlich

RETROSPEKTIVE Stell dir vor, du kannst eine aufregende Künstlerin wieder-entdecken. Das ist jetzt möglich: Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet

"Gewaltsames revolutionäres Denken ist dem Denken des Establishments sehr eng verwandt und seiner Art, Probleme zu lösen. Ich möchte das Establishment mit Methoden bekämpfen, die davon so weit entfernt sind, dass das Establishment nicht weiß, wie es zurückschlagen kann", schreibt Yoko Ono 1971. Dazu ist sie durchaus in der Lage, denn sie weiß, wie die gesellschaftliche Elite tickt. Heute vor 80 Jahren wurde sie in die besonders traditionsbewusste Großbourgeoisie Japans hineingeboren, ihr bester Schulfreund war der Bruder des Tenno.

Statt Klavieren zertrümmert sie also Vorstellungen, Erwartungen und Denkroutinen. Damit ist ihre Kunst, trotz ihrer umstürzlerischen Grundhaltung, leise, ja, geradezu unauffällig. In ihrer ersten Ausstellung 1961 in der New Yorker AG Gallery ihres Fluxus-Freundes George Maciunas (ihm und dem Rest der Bewegung überlies sie die „Piano Activities“) zeigt sie Instruction Paintings, die aus einer Anweisung und ihrer Ausführung bestehen: Etwa ein "Painting to Be Stepped On" oder das "Add Color Painting". Das "Painting in Three Stanzas" ist fertig, wenn die in die Leinwand eingesetzte Pflanze verwelkt ist und ein neuer Spross sichtbar wird. Die Anweisungen werden den Besuchern noch einmal laut vorgelesen. Denn idealerweise verwirklichen diese das Werk, ob im Kopf oder real, das bleibt ihnen überlassen. Im Jahr darauf, im Sogetsu Art Center in Tokio, verzichtete Ono dann schon ganz auf die Leinwandobjekte und präsentiert lediglich die Anweisungen an den Wänden.

Bei so wenig materiellem Pomp kommt nicht nur das Establishment, sondern auch der Kunstbetrieb, der die Geschichte der Avantgarde aufschreibt, in Schwierigkeiten. Etwa, sich an Yoko Ono als wegweisende Performerin zu erinnern. Natürlich kommt die Rede immer auf ihr „Cut Piece“, das sie 1964 erstmals in Tokio aufführte und das bei der zweiten Aufführung 1965 in der Carnegie Hall in New York gefilmt wurde. Zu sehen ist eine ungeheuer intelligente Anordnung, die Versuchung von Gewalt zu thematisieren: Aufgefordert ihr die Kleider vom Leib zu schneiden, lassen im Verlauf der Aktion die Hemmungen bei den Akteuren mit der Schere sichtlich nach, während bei Yoko Ono aufsteigende Panik zu beobachten ist. Es liegt nahe „Cut Piece“ als Vorlauf zu Marina Abramovics autoaggressiven Performances zu sehen. Doch bislang wird Yoko Ono in den Überblickswerken zur Performance entweder gar nicht oder nur ganz am Rande aufgeführt. 1955 schon performt sie ihr Lighting Piece. Es geht um den simplen Vorgang des Anzündens eines Streichholzes, das Aufleuchten der Flamme und ihr Verlöschen. Um eine minimale, ja triviale Handlung, die gleichwohl im Aufflammen eine kraftvolle und danach im Verlöschen eine zarte Schönheit und Sinnlichkeit entfaltet.

Und das macht, so lässt sich jetzt nach dem Besuch der „Half-A-Wind_Show“ in der Schirn in Frankfurt sagen, überhaupt ihre Kunst aus: Sie entsteht aus einer immer distinkten, oft radikal politischen, manchmal auch nur hochfahren oder naiv anmutenden Idee. Folgt der Rezipient der Aufforderung, sie in die Welt der realen Töne, Gerüche, Gegenstände, Körper, Farben und Temperaturen etc. zu überführen, überführt er den konzeptuellen Ansatz immer in eine einfache, gleichwohl dezidiert ästhetische Form. In einer eigentlich überfälligen, dennoch bewundernswerten Großtat hat die Kuratorin Ingrid Pfeifer nun rund 200 Arbeiten Yoko Onos, von den Anfängen bis heute, versammelt. Darunter die Leiter mit dem Vergrößerungsglas ihres Ceiling oder Yes Painting (1966), mit dem sie der Anedote nach John Lennon für sich gewonnen haben soll. Ihn überzeugte die schlichte Affirmation des winzigen Wortes an der Decke, das er unter dem Vergrößerungsglas sah.

So wie ihr Werk angelegt ist, sind ihre neueren Arbeiten konsequenterweise oft Wiederaufnahmen ihrer alten Instructions. Für das Water Event bringen die Leute Behältnisse bei, in die Yoko Ono Wasser füllen kann ? jetzt in Frankfurt steuern unter anderen Jeff Koons sehr typisch einen Kitschspringbrunnen vom Baumarkt und Christian Marclay eine Windel bei. Immer aktuell ist Sky TV, eine der frühesten Videoinstallationen überhaupt, in der sie 1966 mit einer Kamera und einem Monitor den Himmel live in die Galerie projizierte. Gerade der januartrübe Himmel über Frankfurt ist einen längeren Blick wert. Denn spielen bei Yoko Ono nicht selbst die Wolken mit und formen sich zu einem dieser Pos wie sie sie in ihrem Film No.4 (Bottoms) aufgezeichnet hat? Die Schau hallt nach. Am Abend ertappt man sich, wie man Image vor sich hin summt, denn der halbe Wind der japanischen-amerikanischen Künstlerin bläst und wirbelt einem jederzeit allerlei anregende, paradoxe und wunderhübsch plempleme Ideen durch den Kopf. Ja, stell dir vor ...

Bis 12. Mai, Schirn Kunsthalle, Frankfurt, Katalog (Prestel Verlag) 39,95 EUR

18. Februar 2013

Brigitte Werneburg

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